HT 2023: Fragile Inszenierungen von imperium im Rom der mittleren Republik

HT 2023: Fragile Inszenierungen von imperium im Rom der mittleren Republik

Organisatoren
Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD); Verband der Geschichtslehrer Deutschlands (VGD) (Universität Leipzig)
Ausrichter
Universität Leipzig
PLZ
04009
Ort
Leipzig
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
19.09.2023 - 22.09.2023
Von
Noreen Stühmer, Institut für Geschichte, Technische Universität Dresden

„Die Römische Republik ist affin für Fragilitätsfragen.“ Diese Feststellung prägte die Diskussion zu der hier zu besprechenden Fachsektion im Rahmen des Historikertags 2023. Denn gerade die mannigfaltigen Transformationsprozesse der Mittleren Republik regen zu Überlegungen an, ob die dichotomischen Begriffspaare Stabilität und Wandel einerseits sowie Stabilität und Fragilität andererseits zwangsläufig zu dem Schluss führen, Wandel habe die res publica destabilisiert.1 Als wesentlichen Katalysator für Wandel – und damit auch Fragilität? – nahm die Sektion die römische Expansion und Inszenierungen von imperium in den Blick. Dem Imperiumsbegriff wurde dabei in den Vorträgen in der Ambiguität seiner Bedeutungen sowohl als Amtsgewalt der höchsten römischen Magistrate als auch als umfassender Herrschaftsgedanke Rechnung getragen. Im Fokus aller vier Vorträge der Sektion standen die Akteure, die Medien und das Publikum dieser Inszenierungen aber auch die Infragestellung eben jener Inszenierungen. Mit Literatur, Theater, Architektur, Kunst und Ritualen deckten die Studien dabei ein breites Spektrum an Medien der Repräsentation und Inszenierung ab. Erklärtes Ziel der Fachsektion war es nicht, die bisherigen Erkenntnisse der Forschung zu Modi der römischen Repräsentations- und Inszenierungspraktiken gänzlich in Frage zu stellen, sondern mithilfe der die Sektion bestimmenden Leitmotive den Schwerpunkt zu verschieben. Bei den drei Leitmotiven handelte es sich um Konflikt, Rom als Teil einer vernetzten Welt und die Rolle des Volkes.

Im ersten Vortrag der Sektion befasste sich MORITZ HINSCH (München) mit Formen der Inszenierung militärischer Leistung auf der Bühne – genauer gesagt, mit dem politischen Gehalt der römischen Komödie. Gegenstand der Studie war Plautus’ Miles gloriosus, ein Stück, in dem der Soldat Pyrgopolynices für diverses Fehlverhalten auf demütigende Art und Weise zur Rechenschaft gezogen wird. Zwei Vorwürfe sind dabei zentral: Erstens ist der miles gloriosus ein Lügner. Dieses Charakteristikum der Figur lässt sich auf Feldherren der Mittleren Republik übertragen, die immer wieder in den Verdacht gerieten, ihre Leistungen übertrieben auszuschmücken. Zweitens werden dem miles gloriosus monarchische Ambitionen unterstellt. Er überschreitet seine Amtskompetenzen und versucht die Kompetenzen des imperium , die er im Feld innehat (militiae), auch in der Stadt (domi) auszuüben. Hinsch illustrierte die Statusinszenierungen der imperatores als Gradwanderung zwischen selbstbewusstem Eigenlob, mit dem diese die Bewilligung eines Triumphes anstrebten, und ostentativer Maßhaltung, um nicht den Eindruck zu erwecken, die Leistung des populus durch die eigene zu überschatten oder vergessen zu haben, dass es der populus war, der das Mandat zum Feldzug gab.

Der Frage nachgehendend, was die Demütigung des miles gloriosus konkret zum Ausdruck bringe, gab Hinsch dem Deutungsansatz den Vorzug, dass es sich um eine karnevaleske Inversion von Autoritätsstrukturen handele. Mehr noch interpretierte er Plautus’ Stück als eine Quelle, die ex negativo Aufschluss über populäre Auffassungen der sozialen Regeln des Soldatenseins gebe. Die Komödie helfe zu verstehen, wie Normen und Regeln in der Bürgerschaft verbreitet und durchgesetzt wurden. Durch die Vorführung der Konsequenzen, die deviantes Verhalten nach sich ziehen konnte, habe das Theater Druck auf den Feldherren ausgeübt, sich normkonform zu verhalten. Mit Rückgriff auf das Plautus-Zitat „iudices iustissumi domi duellique duellatores optumi“2 verdeutlichte Hinsch die Rolle des populus als Richter über politische Ehren in Rom. Das Lachen der Zuschauer habe die Wirkmächtigkeit der öffentlichen Meinung demonstriert und vergegenwärtigte Befehlshabern ihre konkreten Verpflichtungen und den allgemeinen Leistungsdruck.

Im Zuge der Diskussion bekräftigte Hinsch seinen Eindruck, dass es sich bei der römischen Komödie um eine Echokammer handele, in der nicht etwa große Kontroversen aufgeworfen, sondern normative Modelle artikuliert würden, die das Publikum durch Lachen spiegele und bestätigte. Insgesamt überwiege daher eher ein Eindruck der Stabilität denn der Fragilität, wenn auch nicht die individuellen Spieler betreffend, dann doch zumindest die Spielregeln. Denn obwohl das Theater als Medium, wie Hinsch mit einer Kontrastierung zur attischen Alten Komödien des fünften vorchristlichen Jahrhunderts zeigte, für Gesellschaftskritik und die Fragilisierung von Statusinszenierungen geeignet sei, dienten Plautus’ Stücke eher dazu, Zustände abzubilden, als konkret zu ihnen Stellung zu nehmen. Insofern, und damit schloss Hinsch, sei die Komödie eine hervorragende Quelle für die politische Kultur, die volkstümlich und konfliktträchtig, aber nicht revolutionär gewesen sei.

Im anschließenden Vortrag machte SEMA KARATAŞ (Köln) anhand von M. Claudius Marcellus’ imperialen Auftritten in Syrakus sichtbar, welche „Fakten“ fragilisiert werden können. Seine Plünderungszüge auf Sizilien im Jahr 212 v. Chr. zogen die Zivilbevölkerung massiv in Mitleidenschaft, während das brutale Regime gegen seine eigenen Truppen und die ressourcenintensive Belagerung auch bei der römischen Bevölkerung einen bitteren Beigeschmack hinterließen. Zurück in Rom musste Marcellus harsche Kritik an seinen politischen, vor allem aber seinen moralischen Qualitäten hinnehmen.

Im Wettstreit um die Deutungshoheit über die Vorgänge auf Sizilien hob Karataş drei Akteure hervor, die, geleitet von jeweiligen Partikularinteressen, Fakten unterschiedlich um- beziehungsweise ausdeuteten. Als erste Akteursgruppe führte sie sizilische Gesandte an, die sich beim Senat über Marcellus’ Taten beklagten. In ihrem Interesse habe es weniger gelegen, eine Entschädigung für die Gewaltakte unter Marcellus’ Befehlsgewalt zu erwirken, als zu verhindern, dass ihm erneut ein Kommando in ihrer Heimat zufiel. Der zweite Akteur sei Marcellus selbst gewesen, der zur Erlangung eines Triumphs die Vorwürfe zu entkräftigen versuchte, indem er sich auf das Kriegsrecht und sein imperium berief. Die dritte Akteursgruppe habe jene Politiker umfasst, die in der Konkurrenz um honores die Ausschaltung oder Schwächung ihrer Kontrahenten verfolgten. Gerade im Fall des überproportional erfolgreichen Marcellus muss, so Karataş, davon ausgegangen werden, dass Politiker im Zuge einer Statusnivellierung nicht nur die Deutungshoheit über ihre eigenen res gestae umkämpften, sondern ebenso in relativierender oder aggressiv herabsetzender Weise Deutungsansprüche über die Ihrer Konkurrenten beanspruchten. Obwohl Marcellus seine Sichtweise im Senat letztlich durchsetze, zeigte Karataş’ Fallstudie, dass Fakten, deren Deutung nicht von einzelnen Akteuren monopolisiert wurde, keinen eindeutigen Hierarchien unterstanden, durch alternative Deutungen angefochten, fragilisiert werden oder sogar ihre Gültigkeit verlieren konnten.

Eine interdisziplinäre Öffnung der Perspektiven bot DOMENIK MASCHEK (Trier) in seinem Vortrag über die architektonische Medienrevolution im dritten und zweiten vorchristlichen Jahrhundert. Am Beispiel des aus Beutegeld geweihten Tempelbaus zeichnete er Bauprodukte als Teil eines redistributiven Systems, von dem weite Teile der römischen Gesellschaft profitierten. Anstatt architektonische Projekte lediglich als sinnstiftende Legitimations- und Repräsentationsstrategie der Nobilität zu begreifen, wurden diese als zentrales Tätigkeitsfeld der römischen Bevölkerung und Faktor des sozialen Zusammenhalts in der res publica verhandelt.

Statistische Modellierungen führten Maschek zu dem Schluss, dass ein signifikant größerer Teil der Bevölkerung in die mittelrepublikanischen Bautätigkeiten involviert war als bisher angenommen. Eine auf die römische Elite fokussierte Darstellung werde daher der Dynamik der Expansion, an der viele Bevölkerungsschichten beteiligt waren, nicht gerecht. Die soziale Dimension des Bauens illustrierte Maschek nicht nur anhand der Beteiligung verschiedener sozialer Gruppen am Bau selbst, sondern auch anhand des kollektiven Stolzes und der Identifikation mit dem fertigen Bauwerk, die sich über die unterschiedlichen Beteiligten hinweg erstreckt habe.

Um der problematischen Suggestion eines gleichwertigen Nutzens der Bauten für nobiles und beispielsweise Handwerkerentgegenzusteuern, kam in der Diskussion der Begriff der agonalen Ökonomie auf, dessen Bedeutungsspektrum sowohl der Asymmetrie Rechnung trägt als auch den redistributiven Aspekt integriert.3

Der Vortrag von SIMON LENTZSCH (Fribourg) verfolgte insoweit einen anderen Ansatz als die vorherigen Studien, als Expansion und imperium in der Mittleren Republik in den Darstellungen retrospektiver Quellen begutachtet wurden. Er befasste sich mit dem Bild, welches die tiberianischen Autoren Valerius Maximus und Velleius Paterculus vom republikanischen imperium vermitteln. Mit Verweis auf den bekannten Umstand, dass die meisten überlieferten Schriftquellen zur Epoche der Römischen Republik erst in der Zeit des Prinzipats abgefasst wurden, versprach sich Lentzsch von der Untersuchung der Texte einerseits quellenkritische Einsichten zu ihrem Wert als Quelle für die Mittlere Republik und ein vertieftes Verständnis für die Rolle des Mediums Literatur bei der Inszenierung der Republik andererseits.

Die im Vortrag behandelten Fallstudien, die unter anderem auf Karataş’ Ausführungen zu Marcellus rekurrierten, lenkten das Augenmerk auf Dekadenzdiskurse, die vielfach mit Interpretationen der Expansion der Römischen Republik in Verbindung gebracht werden. Im Kontrast zu anderen antiken Schriftstellern, die die Marcellus-Episode auf das Narrativ des Niedergangs der römischen Kollektivmoral durch die Einflüsse des Hellenismus zuspitzen, entfällt dieses Motiv in der Darstellung des Valerius Maximus. Stattdessen reduziert er die Zusammenhänge auf das Bild einzelner fehlgeleiteter Individuen, die jedoch durch einen integren Senat ihrer gerechten Strafe zugeführt werden.

Die abweichende Darstellung, Marcellus’ Vorgehen allein auf seine Zugehörigkeit zur gens Claudia zurückzuführen, der auch Kaiser Tiberius entstammte, kratzt laut Lentzsch lediglich an der Oberfläche. Denn obwohl die Befürchtung einer negativen Resonanz des Princeps durchaus als einflussreicher Faktor auf die Schriftstellertätigkeit von Valerius Maximus und Velleius Paterculus in Betracht gezogen werden müsse, zeigten Episoden, die ergänzend herangezogen wurden, dass auch dort das Dekadenzmodell die Erzählung nicht überlagere. Teilweise, wie etwa im Fall der Darstellung von Valerius Maximus zu Scipio Africanus dem Älteren, wird die Hinwendung zur griechischen Kultur gar als innovationsfreudig gelobt.

Die Glättung der Geschichte geschehe dabei nicht, so Lentzsch, aus einer Unkenntnis der Diskurse heraus, sondern entspreche vor allem im Fall der facta et dicta memorabilia den Gattungskonventionen der exempla-Literatur, die der Vermittlung von Werten gedient habe. Darüber hinaus zeichne die Glättung eine Kontinuitätslinie vorbildlicher Führungsfiguren von der Republik bis in die tiberianische Gegenwart der Autoren, die als neues Hochplateau des imperium gekennzeichnet wird. Der Vortrag diente insofern dazu, die Texte als eine weitere Stufe der medialen Umformung und Inszenierung des republikanischen imperium zu begreifen und zu quellenkritischer Akribie anzuhalten.

Wesentliche Anteile der an die Vorträge anschließenden Diskussion betrafen die Frage, inwiefern Imperiumsinszenierungen eigentlich fragil seien. Eine Erkenntnis, die sich diesbezüglich aus den Vorträgen destillieren ließe, wäre die, dass sich die Einschätzung der Fragilität verschiebt, je nachdem, ob man die Frage auf Einzelereignisse oder Personen bezieht, oder aber auf systemische Elemente. Vielfach erwies es sich, dass sich die Fragilisierung im Kleinen (zum Beispiel im Theater) stabilisierend auf größere Zusammenhänge auswirken konnte. Dabei wurde betont, dass Ausreißerindividuen nicht zwangsläufig eine Bedrohung für die Stabilität von Imperiumsinszenierungen darstellten.

Die Semantik der Sektion stand ebenfalls zur Diskussion. So erging aus dem Publikum der Vorschlag, den Fragilitätsbegriff durch den der Polyvalenz zu ersetzen. Auch der Begriff „Deutungskamp“ wurde diskutiert, der bereits als Motto des Historikertags 2021 in München diente.

Auf besonders positive Resonanz im Publikum stieß die Sektion hinsichtlich der prominenten Rolle des Volkes, die sich stärker noch als die anderen beiden Leitmotive durch alle Vorträge zog.

Sektionsübersicht:

Sektionsleitung: Moritz Hinsch (München) / Simon Lentzsch (Fribourg)

Moderation: Angela Ganter (Regensburg)4

Moritz Hinsch (München) /Angela Ganter (Regensburg): Einleitung

Moritz Hinsch (München): Die Demütigung des Miles gloriosus. Das römische Volk und die Fakten der Expansion in der römischen Komödie

Sema Karataş (Köln): Syrakus und Marcellus. Darstellung, Umdeutung und Verzerrung

Domenik Maschek (Trier): Anreiz und Ideologie. Die römische ‚Medienrevolution‘ des 3. und 2. Jhs. v. Chr. als kollektives Phänomen

Simon Lentzsch (Fribourg): Die Expansion aus der Retrospektive der tiberianischen Zeit. Volk und Imperium bei Valerius Maximus und Velleius Paterculus

Anmerkungen:
1 Hierbei handelt es sich nicht um die Hauptfragestellung der Sektion, sondern um eine übergeordnete Fragestellung, für die das Thema der Sektion von Belang ist.
2 Plaut. Capt. 67–68.
3 in Anlehnung an Christian Jaser, Agonale Ökonomien. Städtische Sportkulturen des 15. Jahrhunderts am Beispiel der Florentiner Palio-Pferderennen, in: Historische Zeitschrift 298,3 (2014), S. 593–624.
4 Angela Ganter vertrat als Moderatorin kurzfristig Tanja Itgenshorst (Fribourg), die aus privaten Gründen nicht teilnehmen konnte.

https://www.historikertag.de/Leipzig2023/
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